6-8

Bewegende Geschichte: „Café Schrader“

Das viergeschossige Eckgebäude im Stil des Historismus ist in Kompositbauweise von Putz- und Backsteinflächen im Auftrag der Bäckerfamilie Schrader 1896/97 gebaut worden. Erker, Pilaster und zahlreiche Stuckelemente zeugen noch heute von dem Repräsentationswillen des Bauherren. Bereits 1834 hatte Ludwig Schrader an dieser Stelle eine Bäckerei gegründet. Um 1890 gehörten der Familie Schrader zwei kleine, giebelständige Häuser, die dem Neubau weichen mussten. So wurde aus den Häusern 6 und 8 die Königstraße 6-8.

Noch Ende des 19. Jahrhunderts befand sich an der Ecke Königstraße/Holstenstraße (heute „Arko“) ein Schweinestall. Konrad Struve, Gründungsvater des Elmshorner Heimatmuseums, beschreibt, dass „die Jauche über den Bürgersteig in den Rinnstein“ lief. Das „grunzende Borstenvieh“ war an genau der Stelle zu hören, wo später das mondäne Kaffeehaus der Familie Schrader allen Elmshorner*innen ein Begriff war. Der Neubau steht nicht nur stellvertretend für den Expansionswillen des Betreibers, sondern ebenso für die städtebauliche Entwicklung Elmshorns um 1900.

Das „Café Schrader“ in der Königstraße 6-8. Postkarte: Sammlung IME

1834 eröffnete Ludwig Schrader in der Königstraße 8 eine Bäckerei mit Konditorei. Sein Sohn Wilhelm übernahm den Betrieb später und ließ in den Jahren 1896/97 das heute noch stehende Eckhaus errichten. Die Bäckerei wurde um einen Cafébetrieb erweitert. Eine Sensation für Elmshorn war das mit Gasleuchten beschienene Schaufenster. Um dieses „Beleuchtungswunder zu bestaunen“ sollen Neugierige „von weit her“ nach Elmshorn gekommen sein.

Vor dem Neubau 1896/97 besaß die Familie Schrader in der Königstraße zwei Häuser. Foto: Privatbesitz

Als sich Wilhelm Schrader mit seiner Frau Katharina 1922 zur Ruhe setzte, beantragte Sohn Friedrich-Wilhelm, die Schankkonzession des Vaters als dessen Nachfolger übernehmen zu dürfen. Nachdem er die Genehmigung erhalten hatte, führte Friedrich-Wilhelm (1898-1942) die Geschäfte gemeinsam mit seiner Frau Paula (1897-1978), geb. Meyn. Während ihr Mann für das Café zuständig war, leitete Paula Schrader den Verkauf in der Konditorei.

1934 feierte das „Café Schrader“ 100-jähriges Jubiläum. Foto: Privatbesitz

Die Familie bewohnte eine Wohnung im ersten Obergeschoss und beschäftigte eine Köchin sowie ein Kindermädchen für die Töchter Hannelore (1924-1998) und Margot (1929-2017). Ihrem Sohn erzählte Margot Schrader später oft von den gemeinsamen Mittagessen, zu welchen auch Opa Meyn aus der Königstraße 13 häufig zu Gast war. Opa Meyn hieß mit vollem Namen Johannes Meyn und betrieb gemeinsam mit seinem Bruder Hermann in der Königstraße 13 das Geschäft „Elektro Meyn“. Er war der Vater Paula Schraders.

Neben Friedrich-Wilhelm arbeiteten weitere Angestellte im Bar- und Cafébetrieb sowie in der Konditorei. Das „Café Schrader“ hatte auch herzhafte Gerich­te sowie Speiseeis im Angebot. Der Konditor Herr Stahlblock blieb vor allem Margot Schrader in guter Erinnerung. Als Kinder erhielten sie und ihre Schwester von ihm im Keller des Hauses ab und zu ein Eis auf die Hand.

Das Foto von 1938 beschriftete Margot Schrader mit: „Sie saßen jeden Abend auf der Stange von ‚Café Schrader‘. Ganz links mein Vater Friedrich-Wilhelm Schrader.“ Ein Jahr später wurde er zum Zweiten Weltkrieg eingezogen und verstarb 1942. Foto: Privatbesitz
Aus der Getränkekarte des „Café Schrader“. Neben warmen und kalten Getränken bot das „Café Schrader“ auch eine Auswahl herzhafter Speisen an. Karte: Privatbesitz
Paula Schrader auf einer Fotografie von Hermann Koopmann, der Teil des Stammtischs im „Café Schrader“ war, um 1920. Foto: Privatbesitz

1937 erhielt Friedrich-Wilhelm die Genehmigung für den Einbau einer Zapfanlage, fortan wurde in der Königstraße 6-8 entsprechend auch Bier ausgeschenkt. Nachdem ihr Mann 1939 zum sogenannten „Heeresdienst“ einberufen wurde und 1942 an einer Typhuserkrankung starb, führte Paula Schrader die Geschäfte allein. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – in den Anfangsjahren sollen viele Alkoholika verschwunden sein – entwickelte sich die zweifache Mutter zu einer versierten Geschäftsfrau.

1954 gründeten Hermann und Hermine Meissner in der Königstraße 6–8 das „Elmshorner Reise- und Verkehrsbüro Meissner“. Ende der 50er Jahre stieg die Zahl der gebuchten Pauschalreisen jährlich an, 1960 gingen 21% der Elmshorner*innen auf Reisen. Im Jahr darauf fuhr die Mehrheit der Elmshorner Urlauber*innen nach Oberbayern, nach Österreich und in den Schwarzwald. Unter den ausländischen Reisezielen rangierten Österreich und Italien an der Spitze. Foto: Sammlung IME

Bei dem Bombenangriff auf Elmshorn im Sommer 1943 wurde auch das Haus in der Königstraße 6-8 getroffen. Der Dachstuhl brannte infolge des Einschlags vollkommen aus. Das Ziergitter und die Ziergiebel wurden zerstört. Die im dritten und vierten Stock lebenden Familien mussten ihre Wohnungen verlassen und bei Verwandten unterkommen. Erst 1983 erhielt das Haus seine ursprüngliche Dachform annähernd zurück.

Der Firmengründer Hermann Meissner inmitten seiner bunten Prospektwelt. Aus einem sehr dicken Kursbuch der Deutschen Bundesbahn wurden bei einer Bahnreise die Zugverbindungen für die Kund*innen herausgesucht. Häufig schlichen sich allerdings Fehler ein, die die Reise dann erheblich erschwerten. 1962 erfolgte der Umzug des Reisebüros in die benachbarte Holstenstraße 2. Seit 1978 lautet die Adresse Holstenstraße 10. Foto: Privatbesitz

1950 ließ Paula Schrader die Bar ausbauen und auch für den Nachtbetrieb öffnen. Seit 1959 wurde in der Königstraße 6-8 nur noch das Café betrieben. Bereits zwei Jahre später entschied sich Paula Schrader aus wirtschaftlichen Gründen zur Aufgabe des Geschäfts. Nach umfangreichen Umbaumaßnahmen eröffnete hier im November 1961 eine Filiale der Firma „Arko“, die bis heute an der Ecke Königstraße/ Holstenstraße ansässig ist.

Die Enkelkinder von Paula Schrader erinnern sich, dass sie ihre Großmutter als eine stattliche Dame wahrnahmen. „Wenn wir durch die Straßen gingen, grüßte sie jeden und wurde von jedem gegrüßt. Die Königstraße war damals ein Dorf für sich. Heute ist das durch die Ketten anonymer geworden.“

Paula Schrader an ihrem 71. Geburtstag am 18.4.1968 auf der Terrasse des Hauses ihrer Tochter Margot. Foto: Privatbesitz

Nachdem ihre Töchter das Haus verließen, zog Paula Schrader in eine Wohnung im zweiten Obergeschoss. Hier lebte sie bis zu ihrem Tod 1978.

Tochter Margot trat ebenfalls in die Fußstapfen ihrer Vorfahren und lernte den Beruf der Hotelfachfrau. Nach ihrer Ausbildung verbrachte sie die Sommer in der Schweiz und arbeitete im Winter in dem elterlichen Bar- und Cafébetrieb. Nachdem sie 1965 in ihre Heimatstadt zurückkehrte, verwaltete sie die Häuser in der Königstraße 6-8 und 13. Den Mieter*innen der Wohnung ist sie bis heute in guter Erinnerung.

Um die vielseitige Geschichte dieses Hauses nachzuerzählen, hat das 773 Schritte-Projektteam unterschiedliche Personen interviewt, die in den vergangenen 80 Jahren in der Königstraße 6-8 und umliegenden Häusern ihr Zuhause fanden. Auf der beiliegenden DVD finden Sie zu diesem Thema den Film „Über den Geschäften – Wohnen in der Königstraße“. Die Dokumentation erzählt auch die Geschichte der ersten Elmshorner Wohngemeinschaft.

Der „Arko“-Verkaufsraum im Jahre 1988. Foto: Dierk Kruse
1970 erfolgten weitere Umbaumaßnahmen an der Hausfassade. Seit November 1961 ist im ehemaligen „Café Schrader“ eine Filiale der Firma „Arko“ ansässig. Foto: E.-G. Scholz

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