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Bier, Bücher und de gröne Wrömp

Es trägt eine der markantesten Fassaden der Königstraße und ist eines der größten und ältesten unter Denkmalschutz stehenden Gebäude der Stadt: das Möhringsche Haus. Entstanden um 1781/82, ruht der wuchtige Backsteinbau im Zentrum Elmshorns, nur wenige Schritte von der St. Nikolaikirche entfernt.

Früher haben die Bewohner hier Bier gebraut und Schnaps gebrannt, später dann mit Wein gehandelt. Die jeweiligen Besitzer haben in ihrem Anwesen über Jahrhunderte die Bürger der Stadt und ihre Gäste mit geistigen Getränken versorgt. Heute kommen die Elmshorner in das Haus, um ihren Geist zu erfrischen: Sie lesen Zeitungen und Zeitschriften, leihen sich Bücher oder Bilder aus, greifen auf andere Medien zurück oder besuchen Ausstellungen, Vorträge und Lesungen. Vielleicht gehen sie aber auch gar nicht durch den hinteren Bücherei-Eingang, sondern kommen direkt von der Königstraße durch das alte, prächtig geschnitzte Eingangsportal. Dann gelangen sie direkt in die ehemalige Kachelstube des Hauses, in der jetzt die Mitarbeiterinnen der „Theatergemeinschaft Elmshorn“ Eintrittskarten verkaufen.

Was heute ein lebendiger Brennpunkt der Elms­horner Kulturszene und ein herausragendes Schmuckstück der Architekturgeschichte ist, war bereits vor dem Bau des Backsteingebäudes ein Platz der Zusammenkunft sowie des Bier-Brauens. Die Geschichte des Ortes als eine Stätte der Bierherstellung und Bewirtung reicht mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück. Nachweislich steht fest, dass es laut einer Konzessionsprüfung seit 1747 dort eine Brau- und Krügerei (Gastwirtschaft) gab, und das sogar – wie es in dem Schriftstück weiter heißt – „seit undenklichen Zeiten“. Während der Konzessionsprüfung führt Lambert Früchtenicht das Haus. Es dürfte nach dem großen Elmshorner Brand von 1657, dem auch die Kirche zum Opfer fiel, neu entstanden und spätestens seit dem Wiederaufbau ein Ort des Bierbrauens sein.

Das Möhringsche Haus ist eines der ältesten unter Denkmalschutz stehenden Gebäude der Stadt. Vermutlich um 1860 malte Heinrich Lange (1815-1912) diese Ansicht des Hauses. Links ein Teil des Panje-Hauses, rechts die Bäckerei Lienau. Privatbesitz

Später ist Dierk Früchtenicht als Brauer in dritter Familiengeneration dort tätig. Nach seinem Tod heiratet seine Witwe Margaretha – eine Tochter des Brauers Jacob Heins vom Sandberg – im Jahre 1769 den Elmshorner Brauer Michel Junge. Er verkauft noch im selben Jahr sein Anwesen am Markt (heute Alter Markt 12) an seinen Bruder und führt das Geschäft der Früchtenichts am damaligen Wedenkamp weiter, auch über den Tod seiner Frau Margaretha 1773 hinaus. Junge expandiert und ergänzt den Betrieb sogar noch um eine Branntweinbrennerei, über die sich eine erste Erwähnung aus dem Jahre 1777 findet.

Wenig später wird das Haus ein Opfer der Flammen. Dieses Unglück veranlasst Michel Junge und seine 1781 geheiratete zweite Frau Anna Margaretha dazu, gemeinsam das heutige Gebäude um 1781/82 errichten zu lassen – ein genaueres Entstehungsdatum ist nicht zu ermitteln. Neben der Hochzeit im Jahre 1781 weist das Branntweinregister von 1786 auf das Baujahr hin. Dort ist zu lesen: „Michel Junge sen. hat vermöge allerhöchster Conzession vom 28. Oktober 1782 in Hinsicht seines neuerbauten Hauses eine 20-jährige Freyheit von den im Patent vom 6. März 1741 enthaltenen Abgaben.“

Eine Machtdemonstration wenige Jahre vor der Französischen Revolution: Michel Junge lässt 1781/82 ein Haus bauen, das genauso hoch ist wie die Kirche, die damals noch keinen Turm hatte. Die Luftbildaufnahme aus den 1950er Jahren zeigt rechts das Dach des Junge-Anwesens und links den First der St.-Nikolai-Kirche von 1661 in etwa auf gleicher Höhe. Dazwischen steht das noch erhaltene Panje-Haus, das bei seiner Erbauung 1752 bereits als repräsentatives Anwesen galt. Alle anderen Gebäude auf dem Foto sind deutlich später entstanden. Foto: Stadtarchiv Elmshorn

Über seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung im Flecken Elmshorn lässt Michel Junge mit seinem Neubau keine Zweifel aufkommen: Er gibt neun Jahre vor der Französischen Revolution einen Bau in Auftrag, der neben der noch turmlosen Kirche genauso hoch in den Himmel ragen soll wie das Gotteshaus. „Mein Haus soll so hoch werden wie die Kirche!“, soll der Bauherr laut Überlieferung in seiner Familie gesagt haben. Und er hat es (fast) wahr gemacht: Im Mai 2020 haben der Dipl. Ing. Vermessungstechniker Mathias Gerke-Kröger und sein Auszubildender Jonathan Reimers von der Stadtverwaltung Elmshorn exakt nachgemessen: Der Giebel an der Königstraßen-Front des Möhringschen Hauses ist mit 15,50 Metern nur zehn Zentimeter niedriger als der Giebel des (mittlerweile neu eingedeckten) Kirchenschiffs. Der erst 100 Jahre nach dem Möhringschen Haus entstandene Kirchturm ist übrigens 55 Meter hoch.

Michel Junge stirbt 1806 im Alter von 64 Jahren. Die Brauerei führt vermutlich einer seiner Söhne weiter, denn allein unter den 32 Enkelkindern des 1744 nach Elmshorn gezogenen Michel Junge Senior gibt es um 1800 im wenig mehr als 2300 Einwohner zählenden Flecken Elmshorn vier Brauer – ein offenbar sehr lukratives Geschäft, obwohl es nicht an Konkurrenz außerhalb der Junge-Sippe mangelt. So listet ein gutes halbes Jahrhundert später, im Jahre 1864, die Statistik der schleswig-holsteinischen Zolldirektion allein für Elmshorn 16 Bierbrauereien, 17 Branntwein-Destillationen und zwei Mälzereien auf – bei immer noch weniger als 5000 Einwohnern.

Eine der beiden Mälzereien gehört zum Brauhaus in der Königstraße 56. Zu jener Zeit befinden sich hinter dem massiven Backsteinbau aber nicht nur die Mälzerei sowie das Brau- und Brennhaus, sondern auch Stallungen für 37 Ochsen, zehn Kühe, drei Pferde und Schweine. Das kommt nicht von ungefähr: Vor allem das Halten und Handeln mit Ochsen ist für die Brauer eine sehr lohnende, zusätzliche Einnahmequelle. Sie können zum Beispiel auf dem alljährlichen Elmshorner Ochsenmarkt, der nur wenige Schritte vom Junge-Anwesen auf dem heutigen Alten Markt stattfindet, die Tiere kaufen, sie dann mit den Abfallprodukten des Brauens (Schlempe) mästen und mit Gewinn verkaufen.

In der Gebäudesteuerveranlagung von 1867 wird Hinrich Friedrich Junge als Besitzer genannt. Das Dokument gibt ferner Auskunft darüber, dass für das voll unterkellerte Hauptgebäude in der Königstraße 56 zum Wohnen zwei Stuben, vier Kammern und eine Küche ausgewiesen sind. Darüber hinaus gibt es einen Saal, zwei weitere Kammern und ein Bodenraum für die Lagerung der Gerste.

Der Saal dürfte auch ein Grund dafür sein, dass zu jener Zeit das heutige Möhringsche Haus im Volksmund das „Alte Schützenhaus“ heißt: Dort wurde die Elmshorner Schützengilde von 1653 im Jahre 1802 neu gegründet, weil sie 1740 aufgrund der königlichen General-Brandgilde-Verordnung als Elmshorner Schieß- und Brandgilde aufgehoben worden war.

Allerdings wird bereits um 1850 die Gaststätte „Große Haus“ am Markt zum „Neuen Schützenhaus“ erkoren. Dem „Alten Schützenhaus“ bleibt Elmshorns ältester Verein dennoch treu, zumal das „Große Haus“ 1901 zum größten Teil dem Neubau einer Bank weichen muss.

Über das Brauhaus in der Königstraße 56 zu Zeiten vor der Ernennung Elmshorns zur Stadt im Jahre 1870 berichten die Elmshorner Nachrichten Jahrzehnte später: „Das Braubier wurde vornehmlich von den Bauern der Umgebung getrunken. Diese trinkfreudigen Männer ließen sich immer gleich eines der damals handelsüblichen Neun-Liter-Fässer, den so genannten ‚Anker‘, füllen. Dazu kauften sie einen ‚Anker‘ Kümmel. Oft aber saßen sie, zusammen mit den Bürgern des Fleckens, in der Trinkstube und zechten und schmauchten aus langen Kalkpfeifen, die an bestimmten Plätzen des eigens dafür vorgesehenen Pfeifenbrettes an der Wand verwahrt wurden. Um zehn Uhr abends aber donnerte dann der Nachtwächter mit seinem Spieß gegen die hoch gelegenen Fensterladen und rief: ‚He dor! Fierobend!‘“

Der wuchtige Backsteinbau hat eine sieben Achsen breite Fassaden, die eine der markantesten in der Königstraße ist. Hier eine Aufnahme aus der Zeit um 1910, als in dem Gebäude noch Bier gebraut wurde und es bereits seit 25 Jahren im Besitz der namensgebenden Familie Möhring war. Links im Foto ist der Giebel des Kirchenschiffs von St. Nikolai zu sehen. Foto: Stadtarchiv Elmshorn

Zwischenzeitlich hat Johann Thams den Betrieb in der Königstraße gekauft, und 1885 erwirbt Johannes Möhring von ihm die Brauerei. Elmshorn hat damals nur knapp 9000 Einwohner, aber mehr als 100 Gast- und Schankwirtschaften. Es ist zudem die Zeit, in der für die alteingesessenen Brauer der Konkurrenzdruck durch neue und größere Brauereien in Elmshorn sowie in Hamburg und Altona bereits kräftig wächst. Bei den neuen Anbietern wird das Bier nicht mehr kleingewerblich in alter Handwerksmanier hergestellt, sondern in größeren Mengen zunehmend industriell mit Hilfe von umfangreicheren Belegschaften und Dampfmaschinen. Hinzu kommt mit dem Ersten Weltkrieg für alle Brauer ein steigender Mangel an Rohstoffen, vor allem an Gerste. Dies führt 1917 sogar zur völligen Einstellung der Braukunst in Elmshorn, und auch Möhring schließt seine Brauerei und Mälzerei – für immer. Erst 100 Jahre später wird in Elmshorn erstmals wieder Bier in zwei kleineren Craftbeer-Brauereien auf Langelohe hergestellt.

Zurück zum Möhringschen Haus: Otto Möhring, der das Gewerbe bereits von seinem 1910 gestorbenen Vater Johannes übernommen hat, führt es nach 1917 als reine Wein- und Spirituosenhandlung sowie Schankwirtschaft weiter. Neben dem Handel gibt es einerseits die vornehme Probierstube im Kachelzimmer (heute Theaterkasse), in dem sich auch noch in den 1950er und 1960er Jahren allabendlich Kaufleute und Handwerker der Königstraße treffen, und andererseits am Gang zum benachbarten Panje-Haus eine Stehbierhalle. Hier kostet in den 1950er Jahren der Möhringsche Korn 35 Pfennig.

Ein Bierflaschenverschluss der Brauerei Möhring. Johannes Möhring kaufte das Anwesen 1885. Während des Ersten Weltkrieges, im Jahre 1917, musste er das Bierbrauen einstellen. Sammlung IME

Otto Möhring hat 1923 die zwölf Jahre jüngere Erna Blaubach geheiratet. Sie unterstützt ihren Mann im Geschäft und führt später die Firma gemeinsam mit Tochter Elke bis 1972 weiter. Seine letzten gastronomischen Hochzeiten erlebt das Haus aber zwischen den Weltkriegen und in den 1950er und 1960er Jahren.

Bereits Firmengründer Johannes Möhring ist der Schützengilde nicht nur als Schützenkönig von 1893, sondern auch als Gastwirt verbunden. In seinem Anwesen wird über viele Jahre das Elmshorner Schützenfest eingeläutet. Dann schwappt im Möhringschen Haus die „grün-weiße“ Welle: Der Wirt schenkt getreu den Gilde-Farben abwechselnd eine Runde klaren (weißen) Möhringschen Korn und eine Runde des ebenfalls selbst hergestellten grünen Wermuts aus. Letztere Stammmarke der Möhrings heißt „De gröne Wrömp“, auch „Grüner Twisselmann“ genannt.

Der Korn ist nach 1917 das Hauptgeschäft der Möhrings, aber auch vier Rum-Sorten, Liköre und Weine lieferte die Firma an Gastwirte in Elmshorn und der weiteren Umgebung. Markennamen sind der „Kurator“ oder auch der „Kreuzritter Aquavit“. Bereits seit dem 25-jährigen Bestehen seines Geschäftes im Jahre 1910 ist Möhring Ehrenmitglied des Elmshorner Gastwirtevereins.

Unbeeindruckt von der Herrschaft der Nationalsozialisten, bleibt Möhring ein Treffpunkt in der Königstraße. Die Krückaustädter trinken weiterhin Wein und besonders gern Köm und Bier. Genau das wird traditionell bei Möhring und seit 1849 auch gleich im Haus vis à vis, beim Spirituosenhandel Meyn (später Reformhaus), angeboten. Und so heißt es in Elmshorn: „Wat brukt wi Hitler und Göring, wi hebbt jo Meyn un Möhring!“

Im Gegensatz zu anderen Gebäuden in der Königstraße bleiben beide Häuser während der Bombardierungen von Schäden verschont. Noch verwunderlicher erscheint aber die Tatsache, dass das Möhringsche Haus auch die Nachkriegszeit überlebt. In einer Untersuchung ist festgestellt worden, dass gemäß der Auflistung „Kunstdenkmäler des Kreises Pinneberg“ (Deutscher Kunstverlag, München 1961) von den dort genannten rund 100 Objekten in Elmshorn bis zum Jahre 1975 etwa 60 Prozent verlorengegangen sind. Diese Entwicklung verändert das Stadtbild enorm – mehr als Krieg und Bomben – und dauert gerade einmal 14 Jahre. Und: Das damals schon fast 200 Jahre alte Haus in der Königstraße steht 1961 noch nicht einmal offiziell unter Denkmalschutz.

Das Gegenteil ist der Fall: Mit seiner großzügigen Grundfläche von 720 Quadratmetern und in der zentralen Innenstadtlage stellt sich in den 1960er Jahren das Möhringsche Haus nicht nur für Makler als ein hervorragender Platz für einen Supermarkt oder ein Bankgebäude dar. Außerdem hat Erna Möhring, geboren 1897, mittlerweile das Rentenalter erreicht. Darüber hinaus droht noch mehr Ungemach von anderer Seite: der Umbau Elmshorns zur autogerechten Stadt. Entsprechend macht Ende der 1960er das Gerücht die Runde, das Möhringsche Haus solle abgerissen werden.

Zum Hintergrund der Geschichte gehört der Durchführungsplan Nummer 20, den das Kollegium der Stadt bereits 1961 rechtsverbindlich beschließt: Der Durchgangsverkehr soll nicht mehr über den Alten Markt und um die Kirche herum, sondern direkt auf einer Achse zwischen Schulstraße und Vormstegen über Kirchenstraße und den Damm geführt werden. Das direkt neben dem Möhringschen Haus stehende Panje-Haus, gebaut 1752 (heute „Blume 2000“), soll für den Straßenbau genauso weichen wie Teile des gegenüberliegenden Geschäftshauses von Müller-Wipperfürth (heute „Café Junge“).

Der seit 1966 auch als Stadtverordneter aktive Buchhändler Boje Steffen hört im Sommer 1969 als Stammgast bei Möhring von den konkreter werdenden Verkaufsplänen der Witwe. Er weist die Denkmalschützer auf die Entwicklung hin. In letzter Minute stellen die Behörden noch vor einem Verkauf das historische Gebäude unter besonderen Denkmalschutz. Zwar wird so das Haus gerettet, doch die Frage bleibt: Was soll damit geschehen?

Letztlich „gelang es jedoch durch den unermüdlichen Einsatz des Buchhändlers und Stadtrates Boje Steffen, die Stadtvertretung und -verwaltung zum Ankauf des Hauses zu bewegen. Die bis dahin unzureichend untergebrachte Stadtbücherei sollte dort einziehen“, erinnert sich der zu jener Zeit amtierende Kreiskulturamtsleiter Dr. Mannfred Peters 1981 rückblickend.

Tatsächlich verabschiedet sich das Stadtverordnetenkollegium nicht nur vom Durchführungsplan 20, sondern beschließt am 19. April 1972 auch den Kauf des Möhringschen Hauses für 600.000 Mark. Die Elmshorner Nachrichten schreiben dazu am 6. Mai 1972: „Nach schier endlosem Hin und Her haben Elmshorns Stadtväter eines der schönsten Kulturdenkmäler in ihren Besitz gebracht.“ Und der spätere Elmshorner Ehrenbürger Boje Steffen meinte dazu: „Wir sind mit historischen Dingen wahrlich wenig genug gesegnet; es wäre schade gewesen, wenn das Haus anderweitig verkauft worden wäre.“ Am 10. Oktober 1972 überreicht dann die 75-jährige Erna Möhring dem damaligen Elmshorner Kulturdezernenten Günter Friedrich die Schlüssel und verlässt nach fast 50 Jahren das Möhringsche Anwesen.

Erna Möhring überreicht Stadtrat Günter Friedrich die Schlüssel für das Möhringsche Haus. Die Stadt hatte das Gebäude für knapp 600.000 Euro gekauft. Foto: Berthold Kollschen

Das nunmehr bald 200 Jahre alte Gebäude wird denkmalgerecht saniert und zur neuen Bücherei umgebaut. Die Arbeiten unter der Leitung von Architekt Walter Schweim kosten ein Vielfaches des Kaufpreises: 1,54 Millionen Mark. Der Eigenanteil der Stadt liegt bei knapp 600.000 Mark, hinzukommen 350.000 Mark für die Einrichtung und 80.000 Mark für die Erstausstattung mit Medien. Die Umbauar­beiten können im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 in den fünf Geschossen des alten Hauses fast abgeschlossen werden, wobei die Arbeiter im Keller auf drei alte Brunnen stoßen, von denen einer wieder hergerichtet wird. Zahlreiche Wandbemalungen und Stuck können gerettet und ebenfalls noch heute bewundert werden. Das Gebäude erhält im hinteren Bereich einen modernen Eingangsbereich und einen Fahrstuhl.

Im Januar 1976 kann die Bücherei-Leiterin Roswitha Saborowski mit den etwa 11.000 Bänden vom Torhaus ins Möhringsche Haus umziehen. Die Elmshorner Nachrichten loben in einem Kommentar: „In gemeinsamer Anstrengung aller Beteiligten ist hier eine wirkliche Bürgereinrichtung geschaffen worden. In Zeiten öffentlicher Finanznot gibt die neue Bücherei im Möhringschen Haus ein beredtes Zeichen dafür, wie Steuergelder sinnvoll genutzt und dabei dem Steuerzahler wieder zur Verfügung gestellt werden können.“

Bereits einen Tag später ist die erste Ausstellung im Dachgeschoss (der „Olymp“) der neuen Stadtbücherei zu sehen. Die Schau des „Verkehrs- und Bürgervereins“ zeigt bezeichnender Weise weitere historische Bauwerke Alt-Elmshorns, die es noch zu retten gilt. Die rund 70 Gäste bei der ersten Ausstellungseröffnung im Möhringschen Haus genossen die Präsentation – und Freibier.

Ein Blick im Erdgeschoss in Richtung Königstraßen-Eingang. Das Innere des Hauses mussten die Bauarbeiter 1975 fast vollständig entkernen. Foto: Berthold Kollschen
Das Gebäude musste 1975 vollkommen neu hergerichtet werden. Hier die Rückseite, an die ein Anbau für den Bücherei-Eingang nebst Fahrstuhl gesetzt worden ist. Der Anbau wurde dann 1985 zur heutigen Größe erweitert. Foto: Berthold Kollschen
Vieles konnte bei der Herrichtung des Hauses 1975 für die Nach- welt erhalten werden, so einer der aufgefundenen drei Brunnen, der noch heute im Untergeschoss zu sehen ist. Foto: Berthold Kollschen
Selbstverständlich blieb in dem erst 1969 unter Denkmalschutz gestellten Haus die gekachelte Stube mit ihrem imposanten Ofen erhalten – zuerst als Lesezimmer der Bücherei, 2008 zog dann die Geschäftsstelle der „Theatergemeinschaft Elmshorn“ dort ein. Foto: Carsten Petersen

Seit nunmehr 42 Jahren ist die Stadtbücherei im Möhringschen Haus mit ihrem fünf Millionen Mark teuren Erweiterungsbau von 1985 eine feste Größe im Kulturleben und erfährt auch ohne Köm und Bier unter den Elmshornern einen großen Zuspruch. Pro Öffnungstag besuchen durchschnittlich 650 Frauen, Männer und Kinder die Einrichtung in der Königstraße. Aus den 11.000 Bänden sind derweil mehr als 86.000 Medien für unterschiedliche Interessen und Altersgruppen geworden. Die Bücherei, die 2017 ihr 125-jähriges Bestehen feierte, hat 15 Beschäftigte. Langjährige Leiterin war Angelika Hoch-Beig, die 2016 nach 35 Jahren in den Ruhestand ging. Ihr Nachfolger Philipp Braun wechselte bereits im Herbst 2019 in eine andere Stadt. Von Oktober 2020 an soll Arne Tiedemann das Haus leiten. Seit 2016 ist auch die Artothek im Hause untergebracht und seit 2018 gibt es einen „Verein zur Förderung der Stadtbücherei und der Volkshochschule“. Die Bücherei trägt seit 1985 den Namen „Carl von Ossietzky“.

Seit 2008 beherbergt das Möhringsche Haus auch die „Theatergemeinschaft Elmshorn“, die in der historischen Stube mit ihren 1400 handgemalten holländischen Kacheln und dem Kachelofen aus Meissen ihre Theaterkasse eingerichtet hat. Bei den dafür notwendigen, mehr als 90.000 Euro teuren Restaurierungsmaßnahmen wird unter anderem auch die 1960 in alter Form neu geschnitzte Flügeltür im Rokokostil denkmalgerecht wieder aufgearbeitet.

Sie prägt mit der Eingangstreppe das Bild des Möhringschen Hauses in der Königstraße und erinnert im Türoberlicht mit den Initialen MJ und AMJ an das Ehepaar Michel und Anna Margaretha Junge, die vor fast 240 Jahren das Gebäude errichten ließen.

Das Portal der Firma Möhring mit Adventskranz im Jahre 1955 (links). Die Flügeltür wurde 1960 zum 75. Jubiläum der Firma Möhring in alter Form neu geschnitzt und 1975 bei der Restaurierung weiß-grau übermalt (rechts oben). Bei der erneuten denkmalgerechten Instandsetzung 2008 erhielt die Tür wieder ihren ursprünglichen Zustand. Fotos: Per Koopmann, Sven Rohr, Carsten Petersen
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