Die Färberei Junge
1873, kurz nach der Stadtwerdung Elmshorns, erwarb der 29-jährige Otto Junge das Grundstück Königstraße 7. Als Sohn eines alten, im Jahre 1742 erstmals erwähnten Färbereibetriebes in Kellinghusen, begann er mitten in der Elmshorner Innenstadt seine Arbeit als „Schönfärber, Drucker und Wäscher“. Der Begriff „Schönfärber“ stammt aus dem Mittelalter. Während die Schwarzfärber relativ einfach ein tiefes Schwarz in den Stoffen erreichten, zielten die Schönfärber auf schöne rote und weitere farbenfrohe Töne in der Färbung wertvoller Stoffe. Auch weniger wertvolle Stoffe konnten durch bunte Färbung eine bessere Qualität vortäuschen. Hier hat die Redewendung der „Schönfärberei“ ihren Ursprung.
Otto Junge wählte den idealen Standort für eine Färberei: Das Ladengeschäft vorne lag an der zentralen Königstraße in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof. Auf der Rückseite grenzte das Grundstück mit dem Hofgebäude direkt an die Krückau. Hier konnte die Färberei Wasser zum Spülen der Stoffe entnehmen und das Abwasser wieder in den Fluss einleiten.
Ende des 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gab es in Elmshorn, auch in der Innenstadt, eine ganze Reihe von Industrie- und Handwerksbetrieben, deren Abwässer die Krückau belasteten. Dazu gehörten neben den Gerbereien vor allem auch Färbereien und Wäschereien. Färber sind in Elmshorn bereits seit 1691 nachweisbar.
Im Zuge der Industrialisierung und des Anwachsens der Städte hatte Otto Junge den Bedarf seiner Schönfärberei richtig eingeschätzt. Aufträge kamen nicht nur aus Elmshorn, sondern auch aus dem Umland. Er gründete feste Annahmestellen im Kreis Pinneberg, in Ostholstein, an der Westküste und auf der Insel Pellworm. Der Hin- und Rücktransport der Textilien wurde entweder per Post oder mit der Eisenbahn abgewickelt.
Schnell gelangte das Betriebsgebäude an seine Grenzen und Otto Junge erwarb 1892 das Nachbargrundstück Königstraße 9 vom damaligen Kreditverein. Inzwischen hatten die im 19. Jahrhundert entwickelten synthetischen Farbstoffe die Naturfarbstoffe verdrängt und das chemische Reinigungsverfahren auf Benzin-Basis verbreitete sich. Auch Otto Junge eröffnete 1894 auf dem erweiterten Betriebsgelände eine neue Abteilung und warb nun mit „Dampfschönfärberei und chemische Reinigungsanstalt“.
Das Geschäft mit der neuartigen chemischen Reinigung boomte. 1901 eröffnete die Firma Otto Junge Filialen in Hamburg und auf dem hinteren Teil des Grundstücks Nummer 9 wurde ein Fabrikgebäude errichtet. Der Versand per Post und Bahn erwies sich als unzureichend, daher transportierten Elmshorner Fuhrleute die großen Zeugkörbe von und nach Hamburg.
1906 übernahm die zweite Familiengeneration das Geschäft. Paul Junge hatte bei seinem Vater das Färberhandwerk gelernt und leitete gemeinsam mit seinem Bruder Otto jr. den Betrieb. Sie optimierten die Belieferung der Filialen mit einem eigenen Fuhrpark, deren Wagen regelmäßig die Außenstellen aufsuchten. Ein Jahr später ließen die Brüder das ehemalige Gebäude des Kreditvereins abreißen und ersetzten es durch ein neues Wohn- und Geschäftshaus. Bis zur Geschäftsaufgabe befanden sich hier die Ladenräume der Firma Otto Junge.
1913 verließ Otto Junge jr. den Betrieb und Paul Junge oblag die schwere Aufgabe, die Firma durch den Ersten Weltkrieg und die Inflation zu führen. Er gliederte kurzfristig, von 1921 bis Ende der 1920er Jahre, eine Weberei an. Von den Bauern der Umgebung bezog er Schafwolle, färbte diese nach dem Verspinnen in allen Farben und ließ sie dann zu bunten Teppichen und Decken verweben. Der Verkauf erfolgte über die Außenstellen und half dem Geschäft finanziell über die Krisenjahre hinweg.
In der Folgezeit wuchs der Betrieb stetig an und eine weitere Vergrößerung der Reinigungsabteilung wurde erforderlich. Allerdings brachten der Zweite Weltkrieg sowie seine Folgen neue Erschwernisse, zudem Teile des Betriebsgebäudes durch Bombenabwurf schwer beschädigt wurden.
Paul Junge erwies sich auch in dieser Zeit als umsichtiger Firmenchef. Trotz der umfangreichen Aufgaben im Betrieb engagierte er sich mit großem Einsatz ehrenamtlich. Er war langjähriger Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Elmshorn. Für sein bürgerschaftliches Engagement erhielt er unter anderem das Bundesverdienstkreuz und die Verleihung der Ehrenbürgerschaft Elmshorn.
Sein Schwiegersohn, Paul Westphal, hatte bereits 1929 seine Lehre in der Firma Otto Junge absolviert und kam nach dem Krieg 1946 wieder in das Unternehmen zurück. Nach dem Tod von Paul Junge im Jahr 1958 übernahm er die alleinige Geschäftsleitung. Sowohl Westphals älteste Tochter Maren als auch sein Sohn Hans-Jürgen erlernten das Handwerk des Färbers und des chemischen Reinigers in dem Familienbetrieb. Während der Sohn sich selbstständig machte, übertrug Paul Westphal die Geschäftsleitung 1986 seiner Tochter. Ihr Ehemann, Uwe Kröger, war seit 1967 ebenfalls in der Firma tätig. Die neue Geschäftsführung baute die Wäscherei-Abteilung und das Filialnetz weiter aus. Auch Marens und Uwes Sohn Matthias Kröger war als gelernter Textilreiniger in fünfter Generation für das Familienunternehmen tätig.
Anfang der 1990er Jahre stellten verschärfte Umweltgesetze und damit verbundene Auflagen nicht nur für die Reinigungsbranche eine zunehmend große Belastung dar. Die Firma Otto Junge investierte in modernste computergesteuerte Maschinen und nahm auch eine neue Nassreinigungsanlage in Betrieb. Diese reinigte die Textilien nicht, wie bis dahin üblich, in Lösungsmitteln, sondern deutlich umweltfreundlicher in Wasser. Die angebotenen Spezialdienste umfassten zu jener Zeit die Reinigung von Vorhängen, Oberbetten, Schlafsäcke bis hin zur fachgerechten Pflege und Aufarbeitung von Abendgarderobe und Brautkleidern.
1999 wurde beim Abriss der alten Fabrikgebäude stark verseuchter Boden gefunden. Die Grundwasserbelastungen mit chloriertem Kohlenwasserstoff stellten sich als erheblich dar: 200 Milligramm (0,2 Gramm) pro Liter Grundwasser. Diese Bodenbelastung zählt zu den höchsten, die je in Schleswig-Holstein gemessen wurde. Der Bodenaustausch bis zu vier Metern Tiefe und vor allem der jahrelange kostenintensive Betrieb einer Aktivkohle-Filteranlage zur Grundwassersanierung führte 2006 zur Insolvenz des Familienbetriebs.