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Die erste Adresse in der Königstraße

Elmshorns erste Adresse, die Königstraße Nr. 1, ist nicht mehr an prominenter Stelle zu finden, sondern liegt etwas abgelegen gegenüber dem Bahnhofstunnel. In dem großen Gebäude an der Biegung der Königstraße zur Geschwister-Scholl-Straße befinden sich heute verschiedene Gewerbe. Hier war der Ursprung von Elmshorns einst florierender Margarine-Industrie. Später verbrachten viele Elmshorner*innen ihre Freizeit auf dem Gelände: 17 Jahre lang liefen Kinofilme im „Savoy“ und Anfang der 2000er Jahre diente das Haus auch als Disco-Treff.

Die Weinhandlung Otto Piening befand sich in der Königstraße 1. Blick vom ehemaligen Bahnübergang aus der Mühlenstraße in die Königstraße hinein. Nach dem Wein zogen Kunstbutter und Kunsthonig der Firma „Wagner & Co.“ in die Nummer 1 ein. Gemälde: Heinrich Lange um 1860, Sammlung IME

Von der Wiese zur Bodenspekulation

Alle südlichen Grundstücke der Königstraße, vom Bahntunnel bis zur heutigen Kreuzung mit der Holstenstraße, waren bis zum Bau der Eisenbahn 1844 nur landwirtschaftlich genutzt. Sie befanden sich am Stadtrand und erst mit Anlage des Bahnhofs erfuhren die umliegenden Grundstücke eine große Aufwertung. Einer der ersten Elmshorner Bauunternehmer, der Maurermeister Peter Twisselmann, nutzte mit seinem Unternehmergeist die Gunst der Stunde. Er erwarb große Grundstücke, teilte diese in einzelne Parzellen auf, errichtete Wohn- und Geschäftshäuser und verkaufte diese wieder mitsamt dem dazugehörigen Grund.

Otto Piening kaufte das Grundstück mit Haus an der ersten Adresse, der Königstraße 1. Bis 1906 betrieb seine Familie hier eine große Weinhandlung. Ab 1907 war das Gelände Standort der ersten Kunstbutterfabrik Elmshorns, abgelöst von einem weiteren industriellen Ersatzprodukt, dem Kunsthonig. In der wechselvollen Geschichte folgten Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Das Vorderhaus wurde nie wieder aufgebaut und dient teilweise heute dem irischen Pub in der Hausnummer 3 als beliebter Biergarten. Die Anlage des Bahntunnels und die damit verbundene Kurve verkleinerte das Grundstück Nummer 1. Heute erweckt der Branchenmix im hinteren Bereich des Grundstücks nicht den Eindruck ein und derselben Hausnummer. Doch das ehemalige „Savoy-Kino“, die Tanzschule, der Friseur, das italienische Restaurant und das Boxcenter und sogar der „Fahrradservice Freilauf“ der „Brücke Elmshorn e.V.“ auf der gegenüberliegenden Seite besitzen die Adresse Königstraße 1.

Der erste große Bauunternehmer

1842 verkaufte der damalige Besitzer und Gastwirt des Gasthauses „Kopenhagen“ (später „Holsteinischer Hof“) Thies Thormählen das im Flecken Elmshorn gelegene Wohnhaus und großen Grundbesitz an den Maurermeister Peter Twisselmann in Elmshorn. Das verkaufte Gebiet umfasste das Gelände von den Eisenbahngleisen bis zur heutigen Kreuzung Holstenstraße und dem Kirchensteig bis zur Krückau.

Twisselmann teilte das Land in mehrere Grundstücke auf und errichtete in den Folgejahren an der Südseite des ehemaligen Kirchensteigs Wohn- und Geschäftshäuser, unter anderem auch das für die Weinhandlung von Otto Piening in der Königstraße 1, aber auch die Gebäude für die Kreditbank, die Gastwirtschaft und Badeanstalt von Wilhelm Eggers (Königstraße 3), die Gastwirtschaft „Zur Börse“ von Hermann Kelting (Königstraße 5) und das Wohn- und Geschäftshaus für die Färberei Junge (Königstraße 7).

Der „Verkäufer verpflichtete sich für sich und seine Nachfolger im Besitz, einen Fahrweg von 36 Fuß Breite von der Grenze zur Wiese vom Fußsteige an für beide, seinen und des Käufers Gebrauch, stets frei zu lassen.“ Der öffentliche Fußsteig führte mittels eines schmalen Stegs über den damals noch offenen Horster Graben.

Weinhandlung Otto Piening in der Königstraße 1. Im Keller befand sich die „Gastwirtschaft und Restauration A. Grossmann“. Foto: Vereinigung für Familienkunde

Die Weinhandlung Otto Piening

Der Kaufmann Otto Piening (1756-1847) kaufte von Twisselmann Haus mit Grund in der Königstraße 1 und richtete hier eine Weinhandlung ein. Sein Sohn Johann Hinrich (1786-1859) und dessen Sohn Otto (18221906) führten die Weinhandlung Otto Piening fort.

Der Kaufmann Otto Piening auf der vermutlich frühesten Daguerreotypie Elmshorns mit seinem Sohn – dem Weinhändler Johann Hinrich –, dessen Ehefrau Wilhelmine und fünf Kindern. Auf dem Foto fehlt der Enkelsohn und spätere Geschäftsinhaber Otto, da er zum Aufnahmezeitpunkt bereits eine Lehre absolvierte. Aufnahme um 1846. Foto: Vereinigung für Familienkunde

Die Kunstbutterfabrikation

Nach dem Tod von Otto Piening eröffneten am 9. Februar 1907 die „Westholsteinischen Margarine Werke“ der Gebr. Holm ihren Betrieb in der Königstraße 1. Bereits nach einem halben Jahr wurde diese erste „Kunstbutterfabrik“ von dem Berliner Lebensmittelgroßhändler Karl Wagner übernommen. Standortfaktoren, die für die Produktion von Margarine in Elmshorn sprachen, waren die gute Qualität des Trinkwassers, die günstige Bezugsmöglichkeit von Milch aus der Genossenschaftsmeierei in der Schulstraße und die Nähe zu den Hamburger Ölmühlen für die Versorgung mit Hauptrohstoffen.

Briefkopf der Margarinefabrik „Wagner & Co.“, gegründet in der Königstraße 1. Links oben das 1913 neu gebaute Werk zwischen Gärtnerstraße und Lornsenstraße, rechts oben der erste Firmensitz. Die Gebäude erstrecken sich von dem Wohn- und Geschäftshaus – der früheren Weinhandlung – an der Königstraße bis zur südlich angrenzenden Krückau. Quelle: Sammlung IME

Butter war im Europa des 19. Jahrhunderts teuer und knapp. Napoleon III. förderte die Entwicklung einer preisgünstigen Ersatzbutter, um die Versorgung der französischen Armee sicherzustellen. Ein französischer Chemiker erfand 1869 die „Kunstbutter“, genannt Margarine, deren Hauptbestandteil Rindertalg war.

In Deutschland wurde die erste Margarinefabrik 1872 gegründet. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Zusammensetzung der Margarine: Als Inhaltsstoffe wurden pflanzliche Öle statt tierischer Fette verwendet und aus Haltbarkeitsgründen Milch durch Wasser ersetzt. Das Anwachsen der Margarineindustrie setzte eine leistungsfähige Ölmühlenindustrie voraus.

Heute werden Butter und Margarine als gleichwertige Nahrungsmittel angesehen. Viele Menschen entscheiden sich aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund einer veganen Ernährung für den Verzehr von Margarine statt Butter. In der Anfangszeit der Margarineherstellung um 1900 hatte Margarine gegenüber der Butter einen minderwertigen Ruf. Deshalb nannten sich einige Herstellerfirmen „Pflanzenbutterfabrik“, da dieser Begriff nicht so negativ besetzt war wie der Ausdruck „Kunstbutter“.

Bei „Wagner & Co.“ florierte die Margarineherstellung. Bereits nach sechs Jahren waren die Räumlichkeiten in der Königstraße 1 trotz Ankauf eines Teils des Nachbargrundstücks und Vergrößerung der Gebäude zu beengt. Die Firma Wagner errichtete einen großen Neubau mit einem Kontorhaus in der Gärtnerstraße 10, der 1913 in Betrieb genommen wurde und bis 1976 bestand. Wagner & Co. verkaufte seine frühen Warenmarken „Tafelperle“ und „Echte Wagner“ in ganz Deutschland.

Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Elmshorn zwei weitere Margarinefabriken gegründet. Ende der 1930er Jahre existierten bereits fünf Betriebe. Während des Zweiten Weltkrieges mussten alle mit Ausnahme der Firma „Wagner & Co.“ schließen. Diese Firma hatte als nationalsozialistischer „Musterbetrieb“ die „Goldene Fahne“ der Deutschen Arbeitsfront erhalten.

Die Firma Wagner konzentrierte sich ab Ende der 1950er Jahre auf die Margarineherstellung am Hauptstandort in der Gärtnerstraße und gab das Gebäude Königstraße 1 auf. In den 1960er Jahren betrieb Helga Hinzer dort ein „Bewachungsunternehmen“ (Sicherheitsdienst) und Dr. Siegfried Lange war der Inhaber einer Bettfedernfabrik, die es noch in den 1970er Jahren gab.

In den 1930er Jahren erweiterte die Firma „Wagner & Co.“ ihre Produktpalette. In dem ersten Betriebsgebäude in der Königstraße wurde Kunsthonig hergestellt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude stark beschädigt. Während das vordere Haus nicht wieder aufgebaut worden ist (heute Biergarten „Broderick“), baute die Firma „Wagner & Co.“ Anfang der 1950er Jahre die Kunsthonigfabrik auf dem hinteren Gelände wieder auf. Links die Einfahrt in den Bahntunnel. Foto: E.-G. Scholz

Das Kino „Savoy“

1981 entstand in der Königstraße 1 als jüngstes Elmshorner Kino das „Savoy“, das zweite von Gerd Schröder aus Uetersen betriebene Kino neben dem beliebten „Apollo“ in der Mitte der Königstraße.

In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gab es somit zwei Kinos. Das 1923 gegründete „Smoky Kammerlichtspiele“ stand in der Mühlenstraße 3 direkt vor Gleis 1a im ehemaligen Bahnhofshotel „Schweizerhalle“, das „Savoy“ lag auf der anderen Seite der Gleise. Weitere Kinos waren das „Stadttheater“ in der Peterstraße (jetzt „Baalmanns Casablanca“, später zog dieses Kino nach Klostersande in die Räumlichkeiten des jetzigen Elmshorner Stadttheaters um und hieß dort „Astoria“) und das „Apollo-Lichtspielhaus“ in der Königstraße 25.

Im „Savoy“ wie auch im „Apollo“ übernahm Freymuth Schulz von den „Vereinigten Lichtspielen“ Borkum die Filmvorführungen ab Mitte der 1990er Jahre. Wie damals in den Kinos üblich, konnte per Knopfdruck von jedem Sitzplatz aus die Bedienung gerufen werden, um Cola, Popcorn oder Eis zu bestellen. Der Kinosaal des „Savoy“ verfügte über knapp 200 Plätze und wurde 1998 geschlossen, als am Grauen Esel das große „Cineplex“-Kino eröffnete.

Die Räumlichkeiten dienten dann einige Jahre lang als Disco oder wurden für Konzerte und Feiern genutzt. Verschiedene Betreiber haben die 500 Quadratmeter des ehemaligen Kinos immer wieder umgebaut.

Heute sind die ansässigen Firmen in der Königstraße 1 bunt gemischt. Nach einem längeren Leerstand sind die ehemaligen Kinoräume nun der Sitz des „Golden Eagle Box Gym“, daneben finden sich im selben Gebäude ein Friseurladen, ein italienisches Restaurant und eine Tanzschule.

Italienisch Speisen im „Al Canale“ mit Inhaber Rocco Ambrico, Kellner Arif und dem Koch Adriano (von links). 1983 eröffnete das italienische Restaurant „Ristorante al Canale“ in der Königstraße 1. Der Inhaber Rocco Ambrico besaß noch weitere vier Restaurants in Hamburg, kochte aber hier in der Krückaustadt gemeinsam mit Koch Adriano selbst vor Ort.
Im Sommer 1989 übernahm sein Kellner der ersten Stunde, der in der Nähe von Venedig aufgewachsene Davide Cibin als 26Jähriger das „Al Canale“. Er führte es fast zehn Jahre lang. Von 1999 an versuchten sich dann mehrere Pächter zum Teil relativ kurzzeitig an dem Standort. Seit einigen Jahren bereichert in den Räumen wieder ein italienisches Restaurant die gastronomische Szene Elmshorns: das „Da Gino“. Foto: Rainer Jatsch-Kösling, StA Elmshorn
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